Die Zeiten, als der Kurier kam und geheimnisvolle Briefe brachte, sind längst vorbei. Man findet diese heute vergilbten, in wunderschöner Schrift, manchmal parfümierten oder mit Seidenschleifen umwickelten Briefe in den Museen. Man kennt sie aus der Literatur. Sie kamen oft versiegelt, fein säuberlich mit Feder und Tinte geschrieben: Briefe an die Geliebte, Feldbriefe, verschwörerische Briefe. Manche enthielten wichtige, ja sogar lebenswichtige Informationen, die nicht selten erst nach dem Tod des Empfängers dessen Geheimnis lüfteten. Viele Briefe sind im Postmuseum (heute Kommunikationsmuseum) zu bewundern: z.B. Briefe von Katharina der Großen an ihren Geliebten Orlov. Auch der Preußenkönig, Friedrich Wilhelm II. – vom Volk „Der dicke Lüderjahn“ genannt – pflegte regen Briefwechsel mit seiner Mätresse Wilhelmine Enke. Amüsant sind die unzähligen Rechtschreibfehler des Königs.

Den Briefträger kenne ich noch aus eigener Erfahrung. In meiner Kindheit wartete ich auf bunte Ansichtskarten – die reinsten Glücksversprechen. Sehnsucht erwachte nach fremder Lebensart, nach Sonne und Sommer, nach Capri und Amore. Zuzeiten des Postzustellers sind wir selbst schon nach Überallhin gejettet und mussten feststellen, dass nicht jede Sehnsucht in der Ferne erfüllt wird.

Dann wurde das Schreiben exklusiver, der Schreiber kreativer, die Briefmarken farbiger. Zwei Jahrzehnte erfreute ich Menschen mit meinen gemalten Aquarellkarten: Grußkarten zur Geburt, für Geburtstage und Hochzeiten, Beileidskarten ... Es gab Motive für alle Lebenslagen. Es gab Blumen im Farbrausch, Sternzeichen, tränende Herzen, Märchenfiguren und Engel. Engel zum Schutz, zum Trost, als tägliche Begleiter. Besondere Ereignisse bedürfen einer besonderen Aufmerksamkeit, die Wertschätzung, Liebesbeweis und Anteilnahme bedeuten. Die Karten wurden gerahmt oder an die Pinwand geheftet … und verschwanden eines Tages. Eine neue Zeit war angebrochen. Das virtuelle Zeitalter mit seiner Beschleunigung kann nicht Stunden oder Tage auf das warten, was man auch im Bruchteil von Sekunden haben kann. 

Also wohin mit den vielen kleinen Aquarellen, die des nachts am Küchenwaschbecken entstanden? Wohin mit den Freunden meiner schlaflosen Nächte – meinen Pyjamabildern? Wohin mit Geistern und Sternen, mit Engeln und Bengeln? Plötzlich war da die Idee, sie in Collagen zu vereinen und ihnen damit eine neue Gesellschaft zu geben. Ganz oder als Fragment, gerissen, geschnitten und geklebt – eine Metamorphose. Darf ich mich noch Künstlerin nennen, wenn ich alles zerreiße, zerschneide und wieder verwerte? Wenn ich ganz unernst und spielerisch nicht mehr male, sondern alles neu komponiere; bin in ich dann eine Recyclerin? Auch gut. Dann bin ich ja ein Mensch der Zukunft! Die Zeit soll die Frage beantworten.